Diesen Blog-Post hat Renate Jäggi verfasst. Sie ist eine erfahren Primarlehrerin aus der Schweiz, die zusammen mit ihrem Ehemann Beni Farkas zurzeit in Indien verweilt. Mit Beni habe ich in den letzten Wochen den Schulgarten und den Spielplatz auf Vordermann gebracht, viel aufgeräumt und Wasser gegeben.
Schule ist in Indien zentralistisch organisiert. Alle Schulen im Staat haben dieselben Schulzeiten, vorgeschriebe Lehrmittel inklusive Tests. Pro Quartal muss das Lehrbuch genau und ohne Lücke bearbeitet werden und am Ende jedes Quartals werden staatsübergreifende Tests durchgeführt vom Kindergarten bis zum Schulausritt. Jedes Kind bekommt nach den Tests die beiden neuen Lehrbücher; eines mit den Inhalten Mathematik, Science& Nature, Arts & Crafts, ein anderes mit Tamil, Ethics & Moral, Englisch.
Jedes Mensch und Umwelt Buch für dieses Quartal beinhaltet 3-5 verschiedene Themen, auf ca. 3-5 Seiten. Eine Übersicht:
1. Kl. : Wind/Transport/Tag und Nacht
2.Kl: Luft/Wasser/ natürliche Ressourcen/Himmel
3.Kl.:Wind/Wasser/ Mond/Welt der Spielzeuge
4. Kl.: Luft/Wasser/Sonnensystem/ tägl. Leben
5. Kl.: My State,/Safety First/Festivals/Folksarts & Crafts
Bei den Tests werden genau die Inhalte der Lehrbücher schriftlich abgefragt, zum grössten Teil mit den selben Fragen wie im Buch. Im Kindergarten müssen die Kinder zum Beispiel zu einem Thema zeichnen. In den weiteren Klassen kommen Fragen zu Inhalten, wer, wo das erste tragbare Telefon erfunden hat, dessen Nutzen, Vorteile und Gefahren; unter anderem, dass zu langes und häufiges Telefonieren mit dem Natel zu Kopftumoren führen kann!
Und jetzt der Clou: Ausser Tamil sind alle Themen auf Englisch verfasst und müssen von Lehrerinnen unterrichtet werden, von denen mit 2-3 Ausnahmen die meisten sehr wenig Englisch verstehen geschweige denn sprechen können. Die Lehrerinnen unterrichten 3-4 verschiedene Fächer mit Schwerpunkt Mathe, Englisch oder Tamil, an verschiedenen Klassen. Also wirklich keine leichte Aufgabe!
Der Stundenplan sieht für die Lehrerinnen wie für die Kinder von der 1. Bis zur 5. Klasse folgendermassen aus:
9:00 – 9:20 Morgengebet, Morgengruss (nur Montags)
ab 9:20 45 Minutenlektionen, jede Lektion ein anderes Fach; die Lehrerinnen wechseln fliegend die Schulzimmer, die Kinder bleiben
10:50 – 11:00 Pause im Freien
12:30 – 13:20 Mittagessen in der Schule
14:40 – 14:50 Pause im Freien
14:40 Schulschluss für den Kindergarten
16:10 Schulschluss für alle
Das bedeutet, alle Kinder ausser dem Kindergarten haben pro Tag 8 Lektionen, pro Woche zwischen 40 – 48, die Lehrinnen 10 Lektionen unterrichtsfreie Zeit zum Vorbereiten. Die zehn Mädchen aus dem Kinderdorf, die die 1. – 5. Klasse an der AVS besuchen, stehen um 5:00 auf, kommen ab 16:30 nach Hause, haben Hausaufgaben, Freizeit, um 19:30 Uhr Nachtessen und gehen ab 20:30 Uhr ins Bett!
Nebst den schulfreien Tagen während den zwei Monsunzeiten, da die Anfahrtswege dann nicht befahrbar sind, den Hitzetagen im Mai /Juni und den 26 Feiertagen findet deshalb auch am Samstag Schule statt, aber je nach dem ab und zu nur bis 14:00 Uhr. Wann, weshalb an welchen Samstagen, haben wir immer noch nicht herausgefunden!
Bereits am dritten Tag nach unserer Ankunft wurden wir gebeten, ihnen doch Ideen, „Tipps und Tricks“ zu vermitteln, wie sie den Unterricht bereichern können. Ihr grösstes Problem, nicht anders wie bei uns, ist: Wie können wir gleichzeitig den schwächsten Schülerinnen und Schülern wie auch den sehr wachen, interessierten und intelligenten gerecht werden? Nicht zu vergessen ist dabei die Herkunft dieser Kinder, die allesamt aus armen bis ärmsten Familien stammen und deren Eltern zu 99% Analphabeten sind!
Nach verschiedenen Schulbesuchen und Studium der Lehrmittel, wie auch aufgrund konkreter Fragen der Lehrerinnen, haben wir uns zum Ziel gesetzt, ihr vorhandenes ergänzendes Unterrichtsmaterial sowie auch das von uns mitgebrachte zu ordnen und Strukturen zu schaffen, damit sie das Material effizient finden und einsetzen können. Zudem findet täglich nach 16:15 während 30 Minuten „Lehrerweiterbildung“ statt.
Ergebnis: Das Material wird studiert, immer häufiger genutzt, wir werden für konkrete Ideen angefragt, bereiten zusammen vor, wir besuchen verschiedenste Lektionen auf allen Stufen und bringen direkt konkrete Beispiele für abwechslungsreicheren Unterricht ein. Dabei soll immer der Gedanke mitspielen, die schnellen Lerner mit herausfordernden Aufgaben zu beschäftigen, damit Zeit und Raum bleibt, den Schwächeren zu helfen. Jetzt sind wir langsam soweit, dass die Lehrerinnen immer selbständiger Neues anwenden und es bleibt die Hoffnung und der Wunsch, dass sie auch nach unserer Heimreise so motiviert weitermachen.
Schön ist’s zu hören wie ihr, du Mathias und Renate, eure Kräfte und Freude für das Wohl dieser Kinder einsetzt. Ich möchte gerne aber wissen ,was mit diesen Kindern , Mädchen und Jungs, passiert, wenn sie die Schule beendet haben? sind sie wieder auf sich selbst angewiesen? Haben sie die Chancen weiter gefördert zu werden, zum Beispiel eine Lehre in irgendeinem Handwek zu machen, damit sie ihr Leben lebenswert bestreiten können? Ich denke ohne eine weitere Förderungen haben sie keine grosse Chance.
Danke für eure Arbeit und Danke für eure Antwortund weiterhin alles Gute
Danièle Däscher