Eigentlich wollte ich zuerst einen Blogeintrag über einen normalen Tag in meinem südindischen Leben online stellen. Doch der letzte Donnerstag ist besonders erwähnenswert, deshalb serviere ich euch nun einen speziellen Eindruck aus meinem Abenteuer.

Die letzten Tage wurden bei mir von der Frage:  „Findet heute Unterricht statt oder nicht?“ beherrscht. Meist wurde diese erst um 8 Uhr am Morgen beantwortet. Deshalb stellte ich keinen Wecker, sondern wurde von der Schulleiterin mit den Tagesinfos geweckt. Manche von euch fragen sich nun sicherlich warum man überhaupt einen Tag für Regenfrei erklärt. Es liegt definitiv nicht daran, dass unsere Schule ein undichtes Dach hat. Ganz im Gegenteil, die Schule ist ein sicherer Rückzugsort. Das Problem ist der Schulweg. Indien hat sein Bildungssystem von Amerika abgekupfert. Man besucht nicht die nächste Schule, sondern die beste Schule, die man gerade noch zu bezahlen vermag. Jeden Morgen besteigen tausende Kinder ihren Schulbus um quer durch den Staat zur Schule chauffiert zu werden. Und genau hier liegt der Teufel begraben, in der Strasseninfrastruktur. Die sintflutartigen Regengüsse haben vieler Orts die kaputten Strassen gänzlich zerstört und unpassierbar gemacht. Aus diesem Grund wird jeweils in einem ganzen Schulbezirk Regenfrei ausgerufen.

Doch die Arunachala Village School (AVS) ist eine Privatschule und folgt seinen eigenen Regeln. Bei meiner Schule sind nicht die Schüler in Gefahr, denn die Mehrheit wohnt in der Nähe der Schule. Die grössere Herausforderung birgt der Transport der Lehrerinnen von der Stadt zu uns aufs Land. Nach den heftigen Niederschlägen kann es schon mal eine Strasse in einen Fluss verwandeln. Deshalb entscheidet Giri jeden Morgen auf Grund der Wettersituation, ob er den Bus auf seine Reise schickt.

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Am letzten Donnerstag war die Situation nicht eindeutig. Die öffentlichen Schulen hatten geschlossen und somit entschied sich Giri auch unsere Schule zu schliessen. Da entgegen den Wetterberichten kein Regen fiel, sammelte der Bus etwas später alle Lehrerinnen ein. Kurz nach ihrer Ankunft traf auch ich in der AVS ein. (Ich hatte nicht mit einem Arbeitstag gerechnet und war bis spät in die Nacht wach geblieben. Ich brauchte zuerst eine weckende Dusche.) Die Schulleiterin (Jeyarani) fragte mich, ob ich heute English unterrichten könne. „Natürlich!“, antwortete ich ohne zu zögern. „Wann soll der Unterricht stattfinden? Heute Nachmittag?“ „Nein, heute Morgen um 10:00 Uhr bis zum Mittagessen.“ (Aktuelle Uhrzeit 9:30 Uhr) Hirnzellen an und Ideen ausgraben. Ich hatte mich gerade an die Vorbereitungen für ein Wanderdiktat gesetzt, als ich in Giris Büro gerufen wurde. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was wir besprachen, doch es dauerte 20 min, bis ich mich wieder meiner Lektion widmen konnte. Kleine Randnotiz, ich bin keine ausgebildete Lehrperson, meine eigene Primarschulzeit, aus der ich Unterrichtsmethoden kopieren wollte, liegt schon einige Jahre zurück und Grammatik hat noch nie zu meinen Stärken gehört.

Mein grösstes Problem war, dass ich nicht als Lehrmeister auftreten wollte. Ich wollte ihnen nicht das Gefühl geben, dass sie ihre Englischkenntnisse noch Ausbildung erfordern und ich ihr einziger Schlüssel zum Glück bin. (Ich hoffe ihr versteht, wie ich dies meine.) Mein Ziel war es deshalb ihnen neue Unterrichtsmethoden zu zeigen. Da ich noch nicht genug Tamil beherrsche, um dies in ihrer Muttersprache zu erklären, konnte ich dies als Englischunterricht klassieren. Nach dem kurzen Wanderdiktat über die Schweiz, diskutierten wir gemeinsam die Unterschiede der Politischen Systeme unsere Länder. Meine grössten Bedenken mit dem Indischen Schulsystem habe ich beim Thema Kreativität und Eigeninitiative. Mindestens bis zur 5ten Klasse wird nur von der Wandtafel abgeschrieben und sogar die Antworten für die Prüfungsfragen sind auswendig gelernt. Es gibt keine offenen Fragestellungen! Um die Lehrerinnen selber zum Nachdenken anzuregen, habe ich ihnen deshalb zwei Fragen gestellt. Why am I a teacher? What do I like/dislike about teaching? Eigentlich sollte mich die Frage “Is one point enough as answer?” überraschen, doch irgendwie hat ein Teil von mir diese Frage erwartet. Erst als ich ihnen sagte, dass sie die Fragen nur für sich selber beantworten und es kein Richtig oder Falsch und vor allem kein Unvollständig gibt, konnten sie sich langsam etwas unter der Aufgabe vorstellen. Trotzdem hatten Einige die Fragen schon nach drei Minuten beantwortet. Die komische Stille wurde zum Glück von der Chai-Pause beendet und sie begannen sich auszutauschen. Zum Teil sogar in Englisch!

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Nach der Pause forderten die Lehrerinnen Speaking-Training. Und auch dafür hatte ich eine kreative Aufgabe für sie. Sie sollten ein Theater einstudieren. Nur zwei Bedingungen stellte ich dafür. Erstens musste es auf Englisch sein. Eigentlich logisch, trotzdem kam diese Frage auf. Die zweite Bedingung betraf den Inhalt. Die Säulen der Schule sind mit Bildern für jeden Buchstaben des Alphabets bemalt. Von jeder Säule mussten sie ein Bild in ihr Theaterstück einbinden. Nach einigem Gekicher konnten sie ihre Hemmungen überwinden und nach 30min präsentierten beide Gruppen kreative Umsetzungen der Aufgabe. Alle konnten herzhaft lachen und die anfänglichen Hemmungen waren voll und ganz abgelegt. Meinen Unterricht beschloss ich mit dem Erklären des Konzeptes eines Aufsatzes. Als Beispiel zeichnete ich vier Bilder an die Wandtafel die hundert verschiedene Geschichten zuliessen. Wir diskutierten gemeinsam die Möglichkeiten zur Umsetzung im Unterricht. Sie merkten, dass dies in jedem Fach ausprobiert werden kann. Für die jüngeren Schüler riet ich von einer schriftlichen Aufgabe ab, sondern animierte sie gemeinsam eine Geschichte zu erfinden. Während dem Schreiben dieser Zeilen ist mir aufgefallen, dass eine Lehrerin dies heute umgesetzt hat. Sie rief die Klasse in einem Kreis zusammen und begann die Geschichte vom grossen Tier-Rat. Danach übergab sie das Zepter den Schülern und diese waren so im Schuss, dass sie die Pausenglocke ignorierten. Auch die Lehrerin strahlte über das ganze Gesicht.